Die Bezirksverordnetenversammlung Mitte hat am 23. September den Haushaltsplanentwurf 2024/ 2025 beschlossen. Dieser Beschluss ist mit großen Sorgen und Zweifeln erfolgt, denn der Haushaltsplanentwurf enthält große Haushaltsrisiken, die die organisatorische und personelle Handlungsfähigkeit des Bezirksamts, seine Attraktivität als Arbeitgeber, vor allem aber die Erfüllung der Daseinsvorsorge, seiner sozialen Aufgaben und einen fairen Umgang mit den vom Bezirksamt beauftragten Trägern erschweren und teilweise unmöglich machen.
Die BVV Mitte verkennt nicht, dass das bezirkliche Handeln in seiner Effizienz und Stringenz verbessert werden muss, um die in den Budgetergebnissen der Kosten- und Leistungsrechnung deutlich werdenden Defizite abzubauen.
Die neuerlichen Einsparvorgaben des Senats von Berlin gefährden nicht die Erfüllung der kommunalen Daseinsvorsorge, sondern sie verunmöglichen diese nunmehr. Die Vorgaben werden unweigerlich zum Kahlschlag im Sozial- und Jugendbereich führen. Dies wird fatale Folgen für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft haben und erfolgt in einer Zeit, in der der Staat und seine politischen Organe parteiübergreifend in der Verantwortung stehen, den disruptiven Kräften durch eine verantwortungsvolle Finanzpolitik entgegenzuwirken.
Wir, die Verordneten der Bezirksverordnetenversammlung von Berlin-Mitte, fordern wegen unserer gemeinsamen gesellschaftspolitischen Verantwortung vom Senat von Berlin:
1. Mietkosten für die Auslagerung der Anna-Lindh-Grundschule in Höhe von 5,5 Mio. Euro
In der gemeinsamen Entschließung der BVV Mitte vom September 2023 hatten wir den Senat bereits eindringlich auf die dringend notwendige Übernahme der Kosten für die Anna-Lindh Schule hingewiesen. Der Senat hat die Kostenübernahme verweigert. Wir erneuern und bekräftigen unsere Forderung:
Die Senatsverwaltung für Finanzen und der Hauptausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses hatte im Jahr 2022 der Anmietung eines Ersatzgebäudes für Mittes größte Grundschule zugestimmt, da die in den 50er Jahren errichteten Gebäudeteile der Anna-Lindh-Grundschule trotz mehrfacher Schimmelsanierung konstruktionsbedingt irreparabel beschädigt waren und ein regulärer Unterricht und eine den gesundheitlichen Anforderungen von Kindern entsprechende Unterrichtsumgebung nicht mehr hergestellt wurde. Aufgrund der vollständigen Auslastung aller Grundschulen im Bezirk musste ein Gebäude angemietet werden, das ortsnah war, eine komplette Auslagerung der Schule möglich machte sowie die notwendigen Freiflächen aufwies. Dies gelang nur zu sehr hohen Kosten, die im Jahr 2022 und 2023 vom Land übernommen wurden. In den Folgejahren sollen nun diese Kosten ausschließlich vom Bezirk getragen werden. Erschwerend kommt hinzu, dass noch immer keine Entscheidung der Oberen
Denkmalschutzbehörde vorliegt, ob das Bestandsgebäude durch einen Neubau ersetzt werden kann oder ob ein deutlich kostenintensiverer Versuch einer Sanierung unternommen werden muss, was wie im ähnlichen gelagerten Fall der Charlotte-Pfeffer-Schule zu einer Verdreifachung der Bauzeit- und Kosten führen würde. Die verzögerte Entscheidung über Sanierung oder Neubau der Anna-Lindh-Grundschule hat bereits Mehrkosten in Millionenhöhe verursacht.
2. Überhöhte Einnahmenvorgabe von 7 Mio. Euro des Sentas an den Bezirk
Die Senatsverwaltung für Finanzen hat nachträglich für den Bereich der E03-Einnahmen eine Einnahmevorgabe verkündet. Der Bezirk Mitte sowie alle anderen Bezirke können dadurch nicht mehr eigenständig ermitteln, welche Einnahmen sie für realisierbar halten. Die Veranschlagung erfolgt also über die Vorgaben des Senats. Diese Einnahmevorgabe für den Doppelhaushalt 24/25 ist aus Sicht des Bezirks Mitte um rund 7 Mio. Euro überhöht worden. Dies hat mit einem längst veralteten Verteilschlüssel zu tun, nach dem der Bezirk Mitte allein 14,49% aller Einnahmen der Berliner Bezirke zu erzielen hat. Aus diesem Grund musste eine Pauschale Minderausgabe von gut 11 Mio. Euro durch den Bezirk veranschlagt werden. Das bedeutet: Falsche Einnahmenvorgaben des Senats haben einen Sparzwang in der Haushaltswirtschaft ausgelöst.
3. Gesetzeswidrige Haushaltsvorgaben durch die Koalition
Die schwarz-rote Koalition in Berlin hat nachträglich die Haushaltsregeln für die Berliner Bezirke verändert:
Nicht verausgabte Personalmittel in den Bezirken können nicht mehr für die Absenkung der Pauschalen Minderausgaben verrechnet werden. Die Vorgabe induziert den Eindruck, dass die unbesetzten Stellen von nominell ca. 11% im Voraus finanziell hinterlegt sind. Tatsächlich sind jedoch bereinigt nur 1% der unbesetzten Stellen finanziert. Die fehlende Hinterlegung von 10% aber ist der Hauptgrund, weshalb die Stellen häufig nicht besetzt werden können, da schlicht das Geld dafür fehlt. Geld, das nicht existiert, kann aber nicht als Reserve betrachtet werden.
Der Bezirk Mitte muss zudem nachträglich nun einen Ergänzungsplan für das Haushaltsjahr 2024 vorlegen, der Einsparungen in Höhe von 2 Mio. Euro vorsieht. Sollte der Bezirk das nicht bis 01. April 2024 erbringen, wird der Bezirk mit einer vorläufigen Haushaltswirtschaft belegt.
Der Bezirk Mitte wurde in dem Nachschaubericht der Senatsverwaltung für Finanzen aufgefordert eine Ergebnisrücklage von 0,25% des Haushaltsvolumens vorzunehmen. Was wie ein kleiner Bruchteil eines Betrags wirkt, umfasst ca. 2.8 Mio. Euro. Diese Ergebnisrücklage ist de facto eine weitere Einsparvorgabe.
Diese Sparvorgaben und falschen Berechnungsmethoden führen zu einem fatalen Einsparzwang. Dem jedoch nicht genug. Dieser kann wiederum nicht mehr frei durch den Bezirk erbracht werden.
4. Haushaltszwang und Haushaltshoheit: ein Unverhältnis
Um Einsparungen überhaupt in ihrer Folge abwägen zu können, bräuchte der Bezirk dafür eine echte Haushaltshoheit, also Entscheidungsfreiheit darüber, wo eingespart werden kann.
Das jedoch ist wiederum nicht möglich. Denn das Land hat sukzessive Leitlinien aufgebaut, die fest veranschlagen in welchen Bereichen Leitungen zu erbringen sind. Das bedeutet, dass Einsparungen schon gesetzlich nicht mehr möglich sind. Die drei Hauptkostenblöcke im Haushalt umfassen:
A) Personal
B) Investitionen
C) Konsumtive Ausgaben
Ergebnis: Der Bezirk genießt nur über ca. 2,2% des Gesamthaushaltes eine Haushaltshoheit. Er kann entsprechend über ca. 25 Mio. Euro frei entscheiden. Dieser Summe stehen nunmehr nochmalige Einsparvorgaben von ca.13 Mio. Euro gegenüber.
Mit diesen 25 Mio. Euro werden durch den Bezirk sogenannte freiwillige soziale Leistungen erbracht.
Das umfasst vor allem die Jugend- und Senioreneinrichtungen oder die Bekämpfung von Sucht und Obdachlosigkeit. Allein 84 Jugendeinrichtungen werden dadurch finanziert. Die Einsparvorgaben können also per Gesetzesvorgabe und Verwendungsbindung der großen Kostenblöcke A-C nur noch hier erbracht werden.
Das jedoch kommt einem sozialen Kahlschlag gleich.
4. Moratorium auf Bau- und Investitionsleitlinien
Die Bezirke müssen mehr Freiheit erhalten, wie sie Sparvorgaben erfüllen können.
Wirkungsvolle Einsparungen sollten dort möglich sein, wo aufgrund anderer, nicht direkt beeinflussbarer Faktoren, Investitionen nicht getätigt werden können.
Der nachweisbare Fachkräftemangel verunmöglicht die Ausgaben im Bereich von Baumaßnahmen um mindestens der Hälfte des Budgets. Hier könnten deshalb die Investitionen zunächst eingespart werden.
Wir fordern aus den genannten Gründen den Senat auf, nunmehr die richtigen Konsequenzen zu ziehen, um die schlimmsten Folgen für die Bezirke und die dort lebenden Menschen zu verhindern und zu einer konstruktiven Zusammenarbeit zurückzukehren. Wir bitten die Mitglieder des Berliner Abgeordnetenhauses und den Berliner Senat daher eindringlich um eine faire Prüfung unserer Argumente und um zusätzlichen finanziellen Spielraum, damit die Bezirksverwaltung arbeitsfähig gehalten wird und den multiplen Problemlagen in unserem Bezirk weiterhin verantwortlich begegnen kann.